Sprechende Wände (III)

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Autor des Textes ist Peter Gayer. Das Kapitel ist aus praktischen Gründen dreigeteilt: Lesen Sie auch den ersten und den zweiten Teil.

Am selben Gebäude findet man noch eine andere interessante Inschrift, bei der es um Fische geht. Mit diesem Text hat es eine besondere Bewandtnis. Im Mittelalter befand sich hier der Fischmarkt, deshalb der Name der Kirche, die in den antiken Porticus eingebaut wurde: Sant’Angelo in Pescheria. Mit dieser Kirche verbindet sich die traurige Tatsache, daß die Juden des benachbarten Ghettos noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gezwungen wurden, hier die katholische Predigt zu hören. Doch zurück zur Inschrift, die besagt, daß die Köpfe der Fische, deren Länge ein bestimmtes Maß überschritt, im Konservatorenpalast auf dem Kapitol abzuliefern sind. Dieselbe Inschrift wird wiederholt auf dem zweiten Treppenabsatz des Konservatorenpalastes, hier sogar mit dem Relief eines Fisches. Die Köpfe dienten als eine Art Steuer, auf alle Fälle waren es köstliche Leckerbissen, die in die Kochtöpfe der Stadtväter wanderten oder als kostbare Gaben weiter verschenkt wurden, bis sie in die Hände einer allseits bewunderten Dame kamen. Der Text warnt die Fischer vor Schwindel, keiner kann sich damit entschuldigen, von der Ablieferungspflicht nichts zu wissen. Bemerkenswert ist das Abbild des Fisches im Konservatorenpalast, das ohne Zweifel einen Stör darstellt, einen Fisch, der anscheinend früher im Tiber noch heimisch war. Heute wundert man sich, daß dort überhaupt noch Fische schwimmen.

Hochwasser

Im Bereich des Marsfeldes stößt man auf zahlreiche Markierungen von Tiberhochwassern, die das niedrig gelegene Viertel oft heimsuchten. Die Gefahr wurde erst durch die gewaltigen Hochwassermauern Ende des 19. Jahrhunderts gebannt. Die älteste dieser Inschriften befindet sich in der Via dell'Arco dei Banchi, am gleichnamigen Bogen. Sie stammt aus dem Jahr 1277, die Buchstaben sind noch gotisch. Der Stein zeigt aber nicht mehr die Höhe des Wassers der damaligen Überschwemmung an, denn er stand früher an einer anderer Stelle. Besonders viele Markierungen an einer Wand, fast wie eine Chronologie des Hochwassers, sind an der Fassade der Kirche S. Maria sopra Minerva zu sehen. Auf jeder Tafel deutet ein ausgestreckter Zeigefinger auf den genauen Wasserstand. Die Kirche scheint weit vom Fluß entfernt, doch die Fluten drangen sogar bis hierher. Zwei Säulen mit einer Vielzahl von Markierungen stehen an der Piazza del Porto di Ripetta, dem ehemaligen Gelände des Ripetta-Hafens, der im Zuge der Errichtung der Schutzmauern zerstört wurde. Diesen Platz erreicht man leicht vom Stadtpalast der Familie Borghese, ein Flügel erstreckt sich fast bis zum Tiber und endet dort in einer kuriosen Balkonkonstruktion. Über der Figur des Pasquino an der gleichnamigen Piazza ist eine Markierung in die Wand eingelassen, der Figur stand folglich auch in diesem realen Sinne schon oft das Wasser bis zum Hals.

Religiöses

Eine andere Tafel am Tiber fordert den Passanten zum Gebet auf. Sie befindet sich auf der Altstadtseite des Ponte Sisto und lautet sinngemäß aus dem Lateinischen übersetzt: „O du, der du vorbeigehst, bete zu Gott, daß unser Papst Sixtus IV. immer in guter Gesundheit und uns lange erhalten bleibt, und dir, wer du auch bist, soll dieses Gebet auch gelten.“ Sixtus IV. ließ diese Brücke für das Heilige Jahr 1475 errichten, das wird auf der gegenüberliegenden Inschrift verkündet. Heilige Jahre hatten in Rom immer den Nebeneffekt, daß allerhand gebaut und restauriert wurde, was in besonderem Maße für Heilige Jahr im Jahr 2000 gilt, als man zu diesem Anlaß in den Jahren davor die Stadt in eine riesige Baustelle verwandelte.

An der Brücke kümmerte sich der Papst um das körperliche Wohlergehen, doch andere Inschriften sorgen für das seelische: Eine Tafel verspricht im Vorbeigehen einen Sündenablaß im Wert von 200 Tagen, der auch für die Seelen im Fegefeuer gültig ist. An der Ecke der Via Baccina, hinter dem Augustus-Forum und dessen riesiger Feuerwand, in der Nähe des Palazzo del Grillo, wird dieses Versprechen eingelöst, sofern man zum Madonnenbild (La Madonnella oder die Madonna del buon cuore) aufrichtig und mit reuigem Herz betet. Ausdrücklich wird erwähnt, daß es für jeden Gläubigen gilt, egal welchen Geschlechts. Die Tafel stammt aus dem Jahr 1797, Papst Pius VI. hat sie anbringen lassen. Pius VI. war jener unglückliche Papst, der zur Zeit Napoleons regierte. Als die Franzosen die Stadt eroberten, ließ Napoleon den Papst verhaften und nach Frankreich bringen, wo Pius 1799 starb.

Das war natürlich nur eine kleine Auswahl von den vielen Wappen, Zeichen und Inschriften, die man in Rom praktisch im Vorübergehen aufliest. Doch es soll eine Ermutigung sein, die Wände, Hausecken oder die Straßenschilder genauer anzusehen. Wer mit offenen Augen durch die Straßen geht, wird sicher noch ganz andere Entdeckungen machen, die mehr über das Leben in der Stadt verraten als dicke Geschichtsbücher oder Reiseführer. Auch mit geringen Italienischkenntnissen lassen sich die Texte meist entschlüsseln und bereiten manche Überraschung.

(Text Copyright © 2000 Peter Gayer)

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