Sprechende Wände (II)

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Autor des Textes ist Peter Gayer. Den ersten Teil können Sie hier lesen.

Rioni

Eine andere Art von Kontinuität vermitteln die Tafeln mit den Wappen und Nummern, die an den Hausecken in der Altstadt die mittelalterlichen Stadtviertel, die „Rioni“, kennzeichnen. Diese Einteilung ging aus den vierzehn antiken Verwaltungsbezirken, den „Regiones“, hervor. Die Anzahl schwankte, meist waren es zwölf oder dreizehn, heute sind es, unter Einschluß der Ende des 19. Jahrhunderts entstanden Stadtviertel zweiundzwanzig. Den Namen erhielten sie meist nach topographischen Besonderheiten (z.B. Monti nach der Lage auf dem Esquilinhügel, Ripa für die Lage am Aventin und Tiberufer oder Ponte nach der Engelsbrücke) oder prägnanten Bauten (z. B. Colonna nach der Marc-Aurel-Säule oder S. Eustachio nach der gleichnamigen Kirche). Die Einteilung nach Rioni ist in unserer Zeit nur noch dekorativer Natur, aber in verstärktem Maße wird sie wieder verwendet. In den mittelalterlichen Städten dagegen war die Bedeutung eines abgegrenzten Stadtviertels eine ganz andere. Eine wilde Rivalität herrschte zwischen den Vierteln, eine Rivalität, die man heute noch beim berühmten Pferderennen des Palio in Siena spürt, bei dem die Viertel nicht gerade sanftmütig zum Wettkampf antreten. Jedes Viertel hatte eine eigene Miliz, befehligt von einem eigenen Hauptmann, natürlich ein eigenes Wappen, das heute noch die Tafeln ziert und vom Zusammenhalt der Menschen im Viertel zeugt. Ein später Nachklang der Rioni sind die Stadtteilbrunnen, die man in den zwanziger Jahren des Jahrhunderts errichtete.

Andere Inschriften erzählen noch mehr von den Lebensgewohnheiten der Menschen, man muß aber schon genauer hinsehen.

Verbote

Schon vor zweihundertfünfzig Jahren erkannten die Stadtväter, daß es mit der Sauberkeit in den Straßen nicht zum besten stand. Die damalige Straßenverwaltung, genauer der Monsignor delle Strade, erließ strenge Verbote, die man an vielen Ecken und Wänden von Gebäuden der Altstadt anbringen ließ. Diese Verbotstafeln begegnen einem auf Schritt und Tritt, niemand hat sie entfernt, obwohl sie doch längst ihre Gültigkeit verloren haben, auch wenn die Ursache der Verbote, die Straßenverunreinigung, nach wie vor ein Problem ist. Man erkennt die Schilder leicht, der italienische Text lautet fast identisch überall folgendermaßen:

D’ORDINE DI MONS. ILL.MO E REV.MO PRESIDENTE DELLE STRADE SI VIETA A TUTTE LE SING.LE PERSONE FARE MONDEZZARO NELLA VIA ... PENA DI SCUDI DIECI PER VOLTA ET ALTRE PENE CORPORALI – NERBATE – CEPPI – GIRI DI ROTA O COME IL MASTRO VOLESSE SECONDO L’ETA E IL SESSO...

Frei übersetzt hat der derjenige 10 Scudi zu entrichten, der die Straßen verunreinigt. Andere Strafen wie Peitschenhiebe, Pranger oder ähnliches werden angedroht, je nach Schwere des Delikts, Alter oder Geschlecht. Besonders gehäuft sind diese Schilder um den Palazzo del Monte di Pietà, dem ehemaligen Pfandhaus, am gleichnamigen Platz, vielleicht um zu verhindern, daß Einlieferer ihre nicht als Pfand akzeptierten Gegenstände einfach auf andere Weise entsorgten. Kurioserweise hat man zu Dekorationszwecken eine dieser Tafeln im Vorraum des McDonald’s Restaurant an der Spanischen Treppe aufgestellt. (Dort hat man übrigens auch die Kopie eines Mosaiks angebracht, dessen Original man in den ehemaligen Gärten des Lucullus entdeckte, die sich in der Nähe der Spanischen Treppe befanden. Lucullus war der legendäre Feinschmecker des antiken Rom, was würde er wohl sagen, wenn er wüßte, daß ein Mosaik aus seinem Besitz heute den Eingang dieses Schnellrestaurants ziert.) Doch die angedrohten Strafen haben an der Spanischen Treppe und auch sonst in der Stadt ihre abschreckende Wirkung verloren, kaum jemand der Gäste beachtet die Tafel, geschweige kennt ihre wahre Bedeutung. Leider weiß man nicht, ob die Verbote zur Zeit der Aufstellung beachtet oder Übertretungen bestraft wurden.

Die Stadtverwaltung griff auch in die Spielgewohnheiten ihrer Bürger ein. Am Porticus der Octavia im Ghetto befindet sich eine Tafel mit einem Glücksspielverbot, ebenfalls mit Strafandrohung nach besonderem Ermessen.

zum dritten Teil

(Text Copyright © 2000 Peter Gayer)

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